Die Wiederansiedelung 
von
Wölfen in Tirol – Auswirkungen und Probleme

Die Koexistenz von Wölfen und uns Menschen führt in vielen Bereichen zu Konflikten. Vor allem durch die uneingeschränkte Ausbreitung von Wölfen in Europa kommt es vermehrt zu Schäden bzw. Einschränkungen in der Alm- und Weidewirtschaft sowie in der Tourismus- und Freizeitwirtschaft. Das zieht in weiterer Folge auch weitreichendere Konsequenzen mit sich.

Der Wolf hat in ganz Europa keinen natürlichen Feind, vermehrt sich allerdings sehr schnell. Jährlich steigt die Populationsgröße um ca. 30 Prozent, im Jahr 2020 sind wir schon bei 20.000 Wölfen in Europa angelangt. Schon seit 2018 wird der Wolf in Europa von der Weltnaturschutzorganisation IUCN, die die Roten Listen der vom Aussterben bedrohten Tierarten erstellt, als nicht gefährdet eingestuft und das Populationswachstum bestätigt. Auch die Europäische Umweltagentur EAA hat den Erhaltungszustand des Wolfes in seiner alpinen Population mittlerweile als günstig eingestuft. Über kurz oder lang wird der Wolf also auf alle Fälle bejagt werden müssen. Die Frage ist, ob früh genug regulierend eingegriffen wird, um über Jahrhunderte geschaffene Kulturräume und landwirtschaftliche Strukturen zu erhalten.

Gerade in Tirol bzw. im Alpenraum führt eine Wiederansiedlung und ungebremste Ausbreitung des Wolfes zu so vielen Problemen, dass sie faktisch nicht ohne massive Einschnitte für die Tiroler Bevölkerung möglich ist. Hier die Gründe, warum also gerade in Tirol Wölfe mit Vergrämungs- und Abschussmaßnahmen davon abgehalten werden müssen, sesshaft zu werden.

Auf den Tiroler Almen wird bereits Herdenschutz durch Behirtung sowie Weidelenkungsmaßnahmen mittels Zäunen betrieben. Wolfsabweisender Herdenschutz ist allerdings im Vergleich zum herkömmlichen Herdenschutz viel aufwändiger und lässt sich auf vielen Tiroler Almen gar nicht umsetzen. Wo Herdenschutz theoretisch möglich wäre, ist er praktisch für die Almbauern nicht finanzierbar. Auch auf den Weiden bei den Heimbetrieben führt diese Art von Herdenschutz zu deutlich größeren Herausforderungen als in anderen Ländern.

Die Gründe dafür sind unterschiedlich:

  • Topografie
    Aufgrund der Steilheit des Geländes und der schweren Erreichbarkeit ist sowohl eine wolfsabweisende Einzäunung sowie der Einsatz von Herdenschutzhunden schwierig. Vor allem bei den oftmals Felsdurchsetzten Schafalmen können Zäune nicht so montiert werden, dass Wölfe sie nicht immer noch Überspringen oder untergraben könnten. Außerdem ist das Aufstellen und Warten der Zäune in diesem Gelände wesentlich arbeits- und kostenintensiver als im Flachland.
    Es gibt in Tirol nicht die eine weitläufige Weide- oder Almfläche, die für mehrere Hundert Stück Schafe, Ziegen oder auch Rinder geschützt werden müsste. Vielmehr sind es unzählige, kleinere Grünflächen – durch Felsen oder Wälder getrennt -, die jeweils nur von kleinen Herden schonend abgegrast werden können.Bei einer wolfsabweisenden Einzäunung der Tiere müsste jeweils auch eine geeignete Wasserquelle vor Ort sein. Auch das schließt viele Gebiete vom Gebrauch von Herdenschutzzäunen aus.
  • Landwirtschaftliche Struktur
    Die Landwirtschaft in Tirol ist extrem kleinstrukturiert. Ein durchschnittlicher Tiroler Schafhalter hält 35 Schafe, die Rinderhalter 16 Kühe. Für solche Herdengrößen ist Herdenschutz weitaus aufwändiger bzw. ist der Einsatz von Herdenschutzhunden generell nicht möglich. Die meisten Tiroler Betriebe werden im Nebenerwerb geführt. Dementsprechend wenig Ressourcen haben die Bäuerinnen und Bauern, um selbst verstärkt Herdenschutzmaßnahmen durchzusetzen.Zusatz: Herden mit 5 bis 50 Schafen sind nicht geeignet, um sie von einem Herdenschutzhund schützen zu lassen. Herdenschutzhunde müssen mit der Herde aufwachsen und sie das ganze Jahr über begleiten. Eine Alm wird in der Regel jedoch von mehreren Betrieben bestoßen und die Schafe dort können nicht zu einer großen Herde zusammengeführt werden. Dafür ist in den Stallungen im Winter aber auch auf den Weideflächen im Frühjahr und Sommer zu wenig Platz. (Außerdem braucht es für viele Almflächen genau diese kleinen Herdenstrukturen. Siehe Punkt Topografie)
  • Gefahren und Unvereinbarkeit mit Tourismus und Freizeitwirtschaft
    Herdenschutzzäune werden auch zahlreiche Wanderwege kreuzen bzw. abschneiden, da sich eine wolfsabweisende Umzäunung in vielen Fällen nicht mit einem (praktikablen) Durchgang für WandererInnen oder gar MTBerInnen kombinieren lassen wird.Vor allem aber sind Herdenschutzhunde nicht mit der touristischen und freizeitwirtschaftlichen Nutzung vereinbar.
    Ein Blick über die Grenze in die Schweiz zeigt: Herdenschutzhunde sind durchaus auch eine Gefahr für Menschen. Obwohl in der Schweiz Gebiete mit Herdenschutzhunden klar ausgewiesen sind und die Schweizer Almen weniger frequentiert sind als unsere, kommt es bei unseren Nachbarn immer häufiger zu Angriffen durch Herdenschutzhunde auf Menschen. 2020 wurden in der Schweiz 26 Personen von Herdenschutzhunden gebissen.
    In der Schweiz werden Stimmen laut, Herdenschutzhunde aufgrund ihrer Gefährlichkeit zu verbieten. So verlangt die Interessengemeinschaft „Keine Herdenschutzhunde» ein komplettes Halteverbot für Herdenhunde im Urserental, da diese die Touristen vertreiben würden.
  • Kosten
    Die Kosten für wolfsabweisenden Herdenschutz durch Hirten, Hunde und Zäune sind auf das einzelne Tier gerechnet so hoch, dass es sich faktisch nicht mehr rechnet, Tiere auf die Alm zu treiben. Der Kostenmehraufwand kann bei weitem nicht über den Produktpreis abgegolten werden.
    Gefahren für andere Wildtiere
    Herdenschutzmaßnahmen hätten auch enorme Einschränkungen auf andere Wildtiere. So könnten sich beispielsweise auch Steinböcke und Gämsen nicht mehr frei in den Bergen bewegen. Mit dem Einsatz von Herdenschutzhunden würden sie zusätzlichem Stress ausgesetzt. Herdenschutzhunde stellen im Alpbereich eine große Gefahr für bodenbrütende, von der laut Vogelschutzrichtlinie Anhang I geschützte – Arten dar. Insbesondere Steinhuhn, Schneehuhn und Auerhuhn sind hier stark gefährdet.
  • Ende der tiergerechtesten Haltungsform
    Die Freiheit unserer Nutztiere auf den Tiroler Almen ist einzigartig. Für einen wolfsabweisenden Herdenschutz müsste die Alm- und Herdestruktur so drastisch verändert werden, dass von dieser Freiheit nicht mehr viel übrigbliebe. Im Endeffekt würden nur mehr wenige, gut erreichbare und verhältnismäßig einfach zu schützende Almbereiche bestoßen werden können. Die Tiere würden dort also einfach so gehalten werden, wie auf den Weiden im Tal. Die seit mehreren Jahrhunderten bewährte Almwirtschaft ginge verloren.

Die Alm- und Weidewirtschaft ist durch eine Wiederansiedelung des Wolfes in Tirol stark gefährdet. Ohne die flächendeckende Bewirtschaftung würden Siedlungsräume im ländlichen Gebiet zerstört.

Umfragen unter den Bäuerinnen und Bauern sowie die Erfahrungen aus anderen Ländern wie der Schweiz haben gezeigt: Kann sich der Wolf in Tirol auch in Zukunft ungehindert ausbreiten, werden viele Bäuerinnen und Bauern das Handtuch werfen. Betroffen sind davon vor allem kleinstrukturierte, meist im Nebenerwerb geführte Betriebe mit Schaf- oder Ziegenhaltung. Denn die kleinen Wiederkäuer sind innerhalb der Gruppe der domestizierten Tiere die wichtigsten Beutetiere für Wölfe. Genau diese Betriebe sind es, die auch die Steilflächen in den Tälern offenhalten und die steilsten Teile der Almen abgrasen.

  • Erosionen
    Durch die Lage in den Alpen ist der Wohnraum in Tirol sehr begrenzt. Ob und wo gebaut werden kann, wird vor allem nach der Gefahrenlage durch Erosion, also Lawinen, Steinschlag und Murenabgänge, entschieden. Die Bewirtschaftung der Hanglagen durch Weidevieh minimiert hier das Risiko für Lawinen- und Murenabgänge.
    Die Zusammensetzung, Beschaffenheit und Pflege von Gras- und Weideflächen sind wichtige Faktoren für die Stabilität der Böden im Almenraum. Die almwirtschaftliche Bewirtschaftung in ihrer traditionellen Form fördert eine erhöhte Durchwurzelung der Flächen, was sich wiederum in gesteigerter Festigkeit und Bodendichte ausdrückt, die wiederum das Abrutschen von Erdschichten und Abgehen von Muren und die Erosion durch Wind und Wetter verhindert.
    Auch beim Schutz vor Lawinenabgängen im Winter leistet die bewirtschaftete Almfläche einen ungleich höheren Beitrag als etwa eine brachliegende Bergwiese. Gemähte oder beweidete Wiesen weisen eine deutlich höhere Oberflächenreibung auf. Langhalmige Gräser und leicht biegsame, niedrige Zwergsträucher, wie sie auf Brachflächen vermehrt vorkommen, kicken unter der Schneefläche ein und bilden eine glatte Oberfläche, auf der sich Schnee schlecht halten kann. Die kürzeren, robusten Halme bewirtschafteter Wiesenflächen stellen hingegen einen deutlich griffigeren Untergrund dar, der eine höhere Oberflächenreibung bildet und Schneemassen besser halten kann.
  • Wirtschaftsfaktor
    Die durch eine flächendeckende Landwirtschaft gepflegte Landschaft Tirols ist Basis für Tourismus und Freizeitnutzung. Der Tourismus macht von der gesamten Bruttowertschöpfung rund 17,5 Prozent aus und ist damit wichtigster Wirtschaftsmotor im Land. Von den 8,8 Mio. Ankünften im Tourismusjahr 2019/20 gehen im Winter 94% der Gäste Schifahren oder Snowboarden und im Sommer 87% Wandern. Neben den Touristen sind auch zahlreiche Freizeitnutzer in den Bergen unterwegs und suchen auf den weitläufigen Almflächen und in den gepflegten Wiesen und Wäldern Erholung. Auch von der Infrastruktur, die durch die Bewirtschaftung von Almen und Bergmähdern entstanden ist, profitieren Tourismus- und Freizeitnutzer stark.Viele nachgelagerte Betriebe, gerade in den Tälern abseits der Ballungszentren profitieren ebenfalls von dieser Wirtschaftskraft. Im Bezirk Landeck beispielsweise, sind 42 % der Erwerbstätigen im Tourismus tätig. Ohne die Investitionen der Tourismustreibenden gingen auch die Aufträge für lokale Tischlereien usw. verloren.Kann sich der Wolf auch künftig weiter uneingeschränkt ausbreiten, sperren vor allem jene landwirtschaftlichen Betriebe zu, die bisher die Steilflächen der Pisten sowie die Almen bewirtschaftet haben.Die Wiederansiedelung des Wolfes in Tirol ist wegen der Bedrohung für die Alm- und Weidewirtschaft und in weiterer Folge auch der Tourismus- und Freizeitwirtschaft unvereinbar. (Siehe auch Pt. Herdenschutz-Gefahren und Unvereinbarkeit mit Tourismus- und Freizeitnutzung und Auswirkungen Siedlungsraum-Arbeitsplätze)

Die Almbewirtschaftung trägt maßgeblich zur Artenvielfalt bei und ist mitverantwortlich, dass der Alpenraum eine Hochburg der Biodiversität in Europa ist. So finden sich an die 80 Lebensraumtypen und rund 30 Pflanzenarten in den Alpen, die unter den Schutz der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie fallen. Viele dieser schützenswerten Lebensräume und Arten sind überhaupt erst durch die almwirtschaftliche Nutzung entstanden bzw. können dadurch überleben. Beispiele dafür sind Berg-Mähwiesen, Lärchenwiesen, Almweiden, subalpine Kalkrasen und Niedermoore. Im Almgebiet kommen bis zu 950 unterschiedliche Pflanzenarten, aber auch viele schützenswerte Tierarten, wie das Stein- und Schneehuhn vor.

Erhöhte Wolfspräsenz wird im Winter zu erheblichen Schäden im Forstbereich, besonders im Schutzwald führen, da bei einer Wolfspräsenz im Revier keine Wildfütterung mehr betrieben werden kann. Wölfe werden sich im Winterhalbjahr bevorzugt im Bereich von Wildfütterungen aufhalten. Dort ist die Beute für den Wolf leicht verfügbar, da das Schalenwild von der Fütterung angezogen wird. Dementsprechend wird Wild die Fütterungen bald meiden und sich stattdessen Nahrung in den Wäldern suchen müssen.

Seit Jahrhunderten wird die Almwirtschaft in den Alpen nun schon betrieben und ist in dieser Form weltweit einzigartig. Im 14. Jahrhundert erlebte die Almwirtschaft ihre Blütezeit. Seither wird an dieser, wohl tierfreundlichsten Art der Nutztierhaltung, festgehalten. Die Unesco hat den Almauf- und abtrieb in Österreich auf die Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen. Viele Menschen setzen bzw. setzten sich mit aller Kraft dafür ein, den Kulturraum Alm zu erhalten. Aktuell stellt die Wiederansiedelung von Wölfen eine enorme Bedrohung dar.

Wenn auch äußerst selten, so gibt es doch immer wieder bestätigte Fälle von Wolfsangriffen auf Menschen, die mitunter tödlich endeten. Häufiger sind dagegen Angriffe auf Haustiere, vor allem Hunde. Betritt ein Hund ein Wolfsrevier, endet das meist tödlich. Auch im besiedelten Gebiet sind Hunde gefährdet, sobald sie von Wölfen als Beute angesehen werden.

Bei der Verabschiedung der FFH-Richtlinie 1992 haben einige Staaten Sonderregelungen herausgehandelt, wie auch einige der später hinzugekommenen EU-Mitglieder. Die Ausnahmen vom generellen Wolfsabschussverbot gelten für: Estland, Lettland, Litauen, Polen, die Slowakei und Bulgarien sowie für bestimmte Regionen in Finnland, Spanien und Griechenland. Die „Entnahme aus der Natur“ kann hier Gegenstand von Verwaltungsmaßnahmen sein.

Jährliche Jagdquoten regeln den Bestand in den skandinavischen Ländern. Es gibt hier verschiedene Modelle. In Schweden etwa, können ab einem Bestand von 300 Tieren, Wölfe geschossen werden. Außerdem können in Gebieten wo Herdenschutzmaßnahmen nicht greifen, Wölfe aber auch z. B. Bären über die sogenannte „Schutzjagd“ erlegt werden. Setzt man die Landesfläche von Schweden (450.295 km²) in Verhältnis zur Landesfläche Tirols (12.640 km²) so müssten in Tirol ab einer Anzahl von 8,4 Tieren Entnahmen möglich sein. Wobei hier ergänzt werden muss, dass in Tirol 2,5x mehr Menschen pro Quadratkilometer wohnen als in Schweden. Allein im Jahr 2020 wurden Spuren von 10 verschiedenen Wölfen in Tirol gefunden.

Auch in Deutschland macht der Wolf enorme Probleme. Obwohl dort flächendeckend auf Herdenschutzzäune gesetzt wird, steigt die Zahl der Risse aufgrund der rasanten Ausbreitung der Wölfe enorm. Anhand dieser Grafik sieht man auch, wie sehr sich das Problem von Jahr zu Jahr zuspitzt, wenn nicht regulierend eingegriffen werden darf.